Die betriebswirtschaftliche Perspektive
Prof. em. Dr. Leo Staub ist Rechtsanwalt und war Direktor der Executive School of Management, Technology and Law der Universität St. Gallen und akademischer Leiter der HM Akademie St. Gallen.
Zahlreiche Studien gehen der Frage nach, welche Faktoren für die Zufriedenheit von Mandanten verantwortlich sind. Neben den wenig überraschenden Nennungen „Hohe Qualität der juristischen Arbeit“, „Anwaltskosten“ oder „Prozessergebnis“ sind es immer häufiger auch Attribute wie „Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge“ oder „Kenntnisse des Geschäfts des Mandanten“, die eine wichtige Rolle spielen, wenn Mandanten anwaltliche Dienstleistungen beurteilen. Die universitäre juristische Ausbildung nimmt auf dieses Mandantenbedürfnis aber kaum Rücksicht. Die meisten Anwältinnen und Anwälte treten ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse ins Berufsleben. Wie funktioniert ein Unternehmen? Welchen Herausforderungen sehen sich Unternehmer und Vorstand gegenüber, wenn wichtige strategische und operative Entscheidungen anstehen? Und schließlich: Welche Rolle spielt der betriebswirtschaftliche Kontext in der wirtschaftsrechtlichen Beratung? In der HM Akademie St. Gallen wollen wir diesen Fragen nachgehen. Der Lehrgang vermittelt Kenntnisse in allen für die Unternehmensführung wichtigen Disziplinen. Dessen Absolventinnen und Absolventen sollen in der Lage sein, mit ihren Mandanten auf Augenhöhe und in deren Sprache über Fragen und Probleme in Zusammenhang mit unternehmerischen Entscheidungssituationen zu diskutieren. Mit einer Einführung in das bekannte St. Galler Management-Modell legen wir die strukturelle Basis für den Einstieg in die Betriebswirtschaftslehre. Das Modell beschreibt die Strukturen und Prozesse der Unternehmensführung. Später diskutierte Inhalte können anhand dieses Orientierungsrahmens sauber in ein Gesamtkonzept von „Management“ eingeordnet werden.
Ein nächster für Anwältinnen und Anwälte bedeutsamer Schritt ist sodann die Erarbeitung der Grundlagen im Accounting, dem Zahlenwerk des Unternehmens. Hier werden die Grundlagen dafür gelegt, den Erfolg der gewählten – und operationalisierten – Strategie zu messen. Liquidität, Ertrag und Substanz eines Unternehmens sind entscheidende Größen, gerade auch bei Weichenstellungen mit Blick auf Unternehmenstransaktionen. Ein grundlegendes Verständnis wichtiger Kennziffern soll den Zugang zu den Überlegungen und Motiven der Unternehmensführung für die Inangriffnahme von Transaktionsprojekten erleichtern. Unternehmensführung beginnt immer mit der Festlegung einer Strategie. In diesem dritten Modul diskutieren wir deshalb die langfristige Positionierung des Unternehmens im Spannungsfeld der Stakeholder-Interessen. Es geht darum, zu einer Positionierung zu finden, die in Bezug auf das Produkt- oder Dienstleistungsangebot des Unternehmens, seine Orientierung auf definierte Kundensegmente und Märkte oder die Art und Weise seines Marktauftritts einzigartig ist und sich vom Wettbewerb abhebt.
Im Modul Finance geht es um wesentliche Fragen der Unternehmensfinanzierung. Möglichkeiten der Eigen- und Fremdfinanzierung werden besprochen und in Zusammenhang gestellt mit den juristischen Konstrukten zur Transaktionsfinanzierung. Es werden außerdem die wichtigsten Methoden zur Unternehmensbewertung und die Grundsätze der Investitionsrechnung vorgestellt. Die finanzielle Sicht auf Unternehmenstransaktionen wird abgerundet durch die Auseinandersetzung mit der bankwirtschaftlichen Perspektive auf die bedeutendsten Aspekte der Unternehmensfinanzierung. Aus Sicht des Unternehmens sind die Funktionen Legal und Compliance sogenannte „Assurance Funktionen“. Sie tragen also dazu bei, die Unternehmensrisiken zu steuern. Wenn Anwältinnen und Anwälte von einem Unternehmen mandatiert werden, geschieht dies in der Regel im Rahmen eines umfassend verstandenen Risikomanagements des Unternehmens. Es ist deshalb wichtig zu erkennen, wie das Risikomanagement im Unternehmen aufgebaut ist und welche Rolle die externe Rechtsberatung und die rechtliche Vertretung im Kontext eines integrierten Risikomanagements spielen. Unternehmen sind am Markt nur dann erfolgreich, wenn sie permanent innovieren. Innovationen verhelfen zu einem Wettbewerbsvorteil. Andere Marktteilnehmer versuchen, diese Innovationen zu kopieren, was zu einer Nivellierung und unter Umständen gar zu einer Commoditisierung der ursprünglichen Innovation führt. Dies treibt dann natürlich die Innovationsspirale von neuem an. Im Modul „Märkte und Industrien“ befassen wir uns mit den Innovationszyklen von internationalen Großunternehmen und diskutieren mit Industrievertretern über den zugrunde liegenden strategischen Treiber. Anschließend verarbeiten wir diese Impulse zu Innovationsideen für die Kanzlei. Es versteht sich von selbst, dass wir hier auch intensiv auf neueste Entwicklungen im Kanzleigeschäft eingehen, etwa auf die Möglichkeiten von Legal Tech oder die wachsende Bedeutung alternativer Rechtsdienstleister.
Die bis zu diesem Punkt im Curriculum erworbenen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse sollen nun in einem nächsten Modul in ein funktionierendes Geschäftsmodell gegossen werden. Dazu bedienen wir uns der Methoden des ProzessDesigns, wie sie im Business Engineering entwickelt wurden. Die Funktionsmechanik eines Unternehmens wird anschaulich, und zwar sowohl aus einer sachlogischen wie auch aus einer psychologischen Perspektive. Compliance wird für Unternehmen zunehmend wichtiger und damit auch für Kanzleien zu einem interessanten Geschäftsfeld. Wir diskutieren die Grundsätze modernen Compliance Managements entlang des roten Fadens „Rechtliche Aspekte von Compliance“, „Compliance Prozess“ und „Compliance Kultur“. Anwältinnen und Anwälte sind in großen, oft interdisziplinär und international angelegten Projekten auch als Projektmanager gefordert. Kenntnisse des Ressourcen- und Projektmanagements sind daher zunehmend bedeutsam. Sie können den Wert anwaltlicher Arbeit aus Sicht des Mandanten entscheidend steigern. Gegen Ende des Lehrganges werfen wir noch einmal einen Blick auf das Unternehmensumfeld, nachdem erste, grundlegende Aspekte der Außensicht bereits zu Beginn des Zyklus beleuchtet wurden. Es werden ausgewählte makro- und mikroökonomische Themen diskutiert, die sich wesentlich auf die Unternehmensrealität auswirken: Konjunktur- und Währungspolitik, Staatsverschuldung, Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik sind – neben anderen volkswirtschaftlichen Phänomenen – entscheidend für die Gestaltung der unternehmerischen Rahmenbedingungen.
In allen Modulen eingestreut finden sich gleichwertig mit den betriebswirtschaftlichen Themen sogenannte Soft Skill Themen. Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt und sollen uns Gelegenheit geben, die wichtigsten Fertigkeiten für die Mandatsarbeit, für die Arbeit im Team, aber auch für den Kontakt mit dem Mandanten zu trainieren. Wir beschäftigen uns mit Kommunikation, Präsentationsskills und Leadership. Daneben vermitteln wir wichtige Kenntnisse im Projektmanagement, die insbesondere in grossen, komplexen Mandaten auch direkt im Mandatsgeschäft angewendet werden können. Im Zentrum steht hier aber die Fähigkeit, Verhandlungen zu führen. Anwältinnen und Anwälte sind professionelle Verhandler. Die HM Akademie möchte dazu beitragen, dass die Teilnehmer auch in besonders schwierigen Verhandlungen, in Verhandlungen in Extremsituationen und unter großem Druck bestehen. Die entsprechenden Fähigkeiten in diesen Soft Skill Themen werden nicht nur theoretisch vermittelt, sondern auch geübt. Sie können in der anwaltlichen Arbeit entscheidend sein. Studien zeigen, dass Mandanten die Fähigkeiten ihrer Anwälte zur Kommunikation und zur Zusammenarbeit ausserordentlich hoch einschätzen. Diese Fähigkeiten sind namentlich zentral für die Beurteilung der Qualität anwaltlicher Arbeit. In einer Mandanten-Anwalt-Beziehung mit ihrer naturgemäss oft sehr grossen Wissensasymmetrie ist der Faktor Mensch der entscheidende Treiber für die Entwicklung des unabdingbaren Vertrauensverhältnisses mit unseren „Kunden“.
Die HM Akademie St. Gallen existiert mittlerweile seit zehn Jahren. Bis Ende 2018 haben bereits 375 Anwältinnen und Anwälte der Kanzlei einen Weiterbildungs-Abschluss der Universität St. Gallen in Law & Management erworben. Dies erfüllt mit Freude und Stolz! Und es macht Hengeler Mueller ganz klar zur Best in Class, wenn es um die Förderung von Associates im Kanzleimarkt Deutschlands geht. Prof. em. Dr. Leo Staub