Verfassungsrechtliche Leitplanken für den geplanten Berliner Mietendeckel aus der Entscheidung des BVerfG zur Mietpreisbremse

Das Bundesverfassungsgericht hat die vorüber­gehende Dämpfung des Miet­­anstiegs mit der sog. „Mietpreis­bremse“ auf Bundes­ebene von 2015 für ver­fassungs­gemäß er­klärt. Der ausführ­lich begründete Beschluss stützt dieses Ergebnis auf die zahl­reichen Beschränkungen, Abmilderungen und insbesondere die nur vorüber­gehende Geltung des Bundes­gesetzes von 2015.

Die Entscheidung kommt zur rechten Zeit und ist vom Land Berlin bei der laufenden Gesetzgebung zum Berliner Mietendeckel wie auch vom Bundesgesetzgeber bei der geplanten Verlängerung und weiteren Verschärfung der Mietpreisbremse und den Neuregelungen zur Aufstellung von Mietspiegeln zu berücksichtigen.

Im Detail hat das BVerfG die folgenden Leitplanken für zulässige Eigentumseingriffe bei der Regulierung von Wohnraummietverhältnissen aufgestellt:

  • Eine Miethöhenregulierung bei Neuverträgen greift in das verfassungsrechtlich ge­schützte Eigentum der vermietungswilligen Eigentümer ein. Das gesetzgeberische Ziel der bundesgesetzlichen Mietpreisbremse, finanzschwächere Wohnungssuchende in ­regional angespannten Märkten bei der Neuvermietung durch die Begrenzung von Neumieten zu schützen, wird jedoch gebilligt. 
  • Das BVerfG gewährt, wie schon immer, dem Gesetzgeber bei der Prüfung der Eignung entsprechender mieterschützenden Maßnahmen eine weitgehende, nicht gerichtlich kontrollierbare Einschätzungsprärogative. Testfrage ist danach, ob eine Maßnahme von vornherein offensichtlich ungeeignet ist, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen. Diese Hürde dürfte der Referentenentwurf der SenSW Berlin für einen Berliner Mieten­deckel (i.F.: Referentenentwurf) noch nehmen.
  • Dies gilt auch für die Erforderlichkeitsprüfung, d.h. die Frage, ob es andere, weniger in das Eigentumsrecht eingreifende Mittel gibt, wie z.B. die Angebotserweiterung durch die Förderung des Wohnungsbaus. 
  • Bei der Prüfung der Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn) setzt das ­BVerfG Grenzen. Eine Mietpreisregulierung muss sowohl die Belange des Mieters als auch die des Vermieters in gleicher Weise berücksichtigen und diese in einen gerechten Ausgleich bringen. Eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung steht mit den verfassungs­rechtlichen Vorstellungen des sozialgebundenen Privateigentums nicht im Einklang. 
  • Es darf weder die Gefahr dauerhafter Verluste noch eine Substanzgefährdung herbei­geführt werden. Verfassungswidrig ist also schon die gesetzlich herbeigeführte Sub­stanzgefährdung, nicht erst der Substanzverlust.
  • Verfassungsrechtlicher Schutz besteht nicht erst bei gesetzgeberisch herbeigeführten strukturellen Verlusten des Eigen­tümers; geschützt ist vielmehr auch die Ertragsfähigkeit, mithin die Eignung, Überschüsse zu erzielen, die als finanzielle Grundlage für die eigene Lebensgestaltung von Eigentümern dient. Diese Anforderung dürfte der Referentenentwurf verfehlen, der Schutz erst bei individueller Verlustsituation gewähren will.
  • Der Schutz des Mieters eines bestehenden Mietverhältnisses ist zwar höher einzu­stufen als das Interesse am Zugang zu preiswertem Wohnraum bei der Wohnungssuche, schutzfähig ist aber beides. Das BVerfG hält es für unerheblich, dass die Miet­preisbremse nicht nur der in einem bestimmten Wohnumfeld bereits ansässigen Be­völkerung zu Gute kommt, sondern grundsätzlich allen Wohnungssuchenden, ­einschließlich den „Verdrängern“.

Hierzu im Einzelnen: 

  • Trotz Mietpreisregulierung muss es dem Vermieter als Kerngehalt der Eigentums­garantie möglich sein, mit der Vermietung seiner Immobilie strukturell einen Ertrag zu erwirtschaften, wobei vorübergehende Verluste im Einzelfall zu tolerieren sind. Die Befristung der Mietpreisbremse auf fünf Jahre war insoweit ein tragendes ­Argument für die Billigung der Mietpreisbremse.

Entkopplung vom Markt: 

  • Ein für weitere fünf Jahre hinzutretender Mietendeckel würde die Wirtschaftlichkeit der Wohnung zusätzlich in Frage stellen. Eine allein eine an der Inflationsrate orientierte Erhöhung der Bestands- bzw. maßgeblichen Vormiete bis zur Miet­obergrenze ist verfassungsrechtlich unzureichend, da diese für das Jahr 2020 auf die berlin­weiten Mittelwerte des Mietspiegels 2013 zurückgeht, die wegen des Zeitversatzes der eingehenden und abgebildeten Mieten in etwa die Marktverhältnisse des Jahre 20051 wiedergibt. Die Mietobergrenze bei der Neuvermietung wird damit drastisch gesenkt und entzieht eine bis dato bestehende Einnahmengrundlage von hoher Hand. Der Referenten­entwurf gewährt die verfassungsrechtlich erforderliche Sicherung erst für die Zeit nach 2020 und verfehlt die weit über der allgemeinen Preisentwicklung liegende Kostenentwicklung, maßgeblich der Kosten des Bauhandwerks, und lässt dabei eine empfindliche ­Lücke von über einem Jahrzehnt.
  • Die verfassungsrechtlichen Anforderungen aus der BVerfG-Entscheidung würden verfehlt, wenn sich regulierte Mieten strukturell vom Markt entkoppeln. Ein zeitlich versetzter Effekt der Regulierung auf die Marktmiete über den Mietspiegel ist dagegen zu tolerieren. Ein – wie im Referentenentwurf vorgesehener – auf den Mietspiegel von 2013 abstellender Mietendeckel wäre von der (heutigen) Marktmiete vollständig losgelöst. Die im Entwurf enthaltene Mietentabelle widerspricht nicht nur dem, was Ver­mieter auf einem unregulierten Mietmarkt erzielen könnten, sondern auch dem geltenden Berliner Mietspiegel 2019. Liegt die Vormiete (Stand 6/2019 oder im ­Falle von Leerstand noch davor) unter der Mietobergrenze, liegt der Bezugspunkt des Mieten­deckels noch niedriger. 
  • Der verbleibende Markt wäre auf die (in Berlin absehbar wenigen) Neubauten beschränkt, was wegen der Altersklasseneinteilung der Berliner Mietspiegel nie in die Mietspiegelmieten älterer Wohnungen eingeht, und würde sich aller Voraussicht nach weit von den bislang diskutierten Mietobergrenzen entfernen.

Gleichheitsgrundsatz 
Aus den Erwägungen des BVerfG zum Gleichheitsgrundsatz folgt, dass jede Differen­zierung bzw. Nicht-Differenzierung bei der Miethöhenregulierung eines hinreichenden sachlichen Bezugs zur jeweils erzielbaren Marktmiete bedarf. Ein Mietendeckel, der unter Verwendung weit überalteter Höchstwerte – wie im Referentenentwurf vorgeschlagen – tatsächlich im Wesentlichen nur auf das Baualter des Gebäudes abstellt, ohne dabei wie der für die Mietpreisbremse relevante Mietspiegel auch den Wohnkomfort und insbesondere die Lage des Objekts zu berücksichtigen, wirft auch deshalb erhebliche ver­fassungsrechtliche Bedenken auf.

Fazit

Die am stärksten gegen den Mietendeckel sprechenden grundrechtlichen Einwände sind die Ausrichtung auf einen Verlustschutz und damit einhergehende Vernachlässigung der Substanzsicherung (auch schon im Vorfeld des drohenden Substanzverlusts) sowie die vollständige Entkoppelung der regulierten Miete vom Markt 

Zu der ebenfalls kontrovers diskutierten Frage, ob das Land Berlin neben der bundes­gesetz­lichen Regulierung durch die Mietpreisbremse eine eigene Gesetzgebungskompetenz hat, musste das BVerfG mangels Relevanz für den zu entscheidenden Fall keine Stellung nehmen. Selbst aus Kreisen der Berliner Koalitionsparteien wird das zielgerichtete Aus­hebeln des bundesrechtlichen Mietspiegelrechts als verfassungsrechtlich problematisch angesehen. Dies ist weder innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für das Zivilrecht noch – entgegen der Berliner Argumentation – über eine andere Gesetz­gebungszuständigkeit (für „Wohnungswesen“) möglich. 

» Download Newsletter (PDF)

Fussnote
1)  Der Zeitversatz beim Berliner Mietspiegel ergibt sich aus der Kumulation dreier Effekte: erstens der Zulässigkeit der Einbeziehung von bis zu 4 Jahre alten Mieten, zweitens der Elimination der oberen und unteren Bandbreitenmiete bei der Mietspiegelaufstellung und drittens dem Abstellen auf den Mittelwert des Rahmens.