Neues Unternehmensstrafrecht kommt
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat den lange erwarteten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität vorgelegt. Der Entwurf befindet sich noch in der Abstimmung mit anderen Ministerien. Im Anschluss wird er in die Verbändeanhörung gegeben und öffentlich zugänglich gemacht.
Der umfangreiche Entwurf beinhaltet sowohl Regelungen über die Sanktionierung von juristischen Personen und anderen Verbänden (1.) als auch Vorgaben zu internen Untersuchungen (2.). Er regelt zudem die Beschlagnahme von Gegenständen, die sich im Gewahrsam von Rechtsanwälten oder anderen Berufsgeheimnisträgern befinden (3.).
1. Sanktionierung von Verbänden
Das neue Verbandssanktionengesetz wird die Sanktionierung von Verbänden wegen Straftaten regeln, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte (sog. Verbandsstraftat). Das können nicht nur Wirtschaftsstraftaten sein. Die wesentlichen Inhalte des geplanten Gesetzes sind:
- Voraussetzung für die Sanktionierung eines Verbandes ist, dass entweder eine Leitungsperson des Verbandes eine Verbandsstraftat begangen hat, oder dass eine andere Person eine Verbandsstraftat begangen hat und eine Leitungsperson des Verbands die Straftat durch angemessene Vorkehrungen hätte verhindern oder wesentlich erschweren können. Es genügt daher eine unternehmensbezogene Straftat, die durch angemessene Compliance-Maßnahmen hätte erschwert werden können. Auf ein Verschulden kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
- Auch die Sanktionierung von Verbänden mit Sitz außerhalb Deutschlands ist möglich, sofern eine Verbandsstraftat vorliegt, auf die das deutsche Strafrecht anwendbar ist.
- Bei im Ausland begangenen Taten ohne Beteiligung deutscher Staatsangehöriger ist dagegen nur eine Sanktionierung von Verbänden mit Sitz in Deutschland möglich, und zwar wenn die Tat nach deutschem Strafrecht eine Straftat wäre und auch am Tatort mit Strafe bedroht ist. Dadurch sollen deutsche Unternehmen für Straftaten ihrer im Ausland tätigen (Konzern-)Mitarbeiter belangt werden können, ohne dass es auf die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts ankommt.
- Um zu verhindern, dass sich Verbände durch Umstrukturierungen einer Sanktionierung entziehen, ist vorgesehen, dass Sanktionen gegen einen Rechtsnachfolger des Verbandes verhängt werden können und dass eine Ausfallhaftung für Dritte greift, die eine Umgehung der Sanktionierung durch konzerninterne Umstrukturierung beziehungsweise Übertragung wesentlicher Wirtschaftsgüter auf einen anderen Verband verhindern soll.
- Die Verfolgung von Verbänden und ihre Sanktionierung bei Vorliegen der Voraussetzungen sind grundsätzlich zwingend. Ein Ermessen der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts besteht nicht. Allerdings sind die strafprozessualen Regeln über die Einstellung des Verfahrens aus Opportunitätsgründen (insbesondere wegen Geringfügigkeit oder gegen Auflagen) auch für Verbände anwendbar.
- Die Staatsanwaltschaft kann auch von der Verfolgung absehen, wenn zu erwarten ist, dass gegen den Verband wegen derselben Tat im Ausland eine Sanktion verhängt wird, neben der die mögliche Verbandssanktion nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder die zur Einwirkung auf den Verband und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
- Verbände haben dieselben Rechte und Pflichten wie Beschuldigte. Das soll nach der Begründung des Entwurfs auch dazu führen, dass die Regeln über die Verteidigung entsprechend anzuwenden sind.
- Als mögliche Sanktionen sind vorgesehen: die Verbandsgeldsanktion (d.h. eine Geldzahlung), die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (d.h. „auf Bewährung“), die mit Auflagen und Weisungen, etwa einer Geldzahlung oder dem Nachweis einer Verbesserung des Compliance-Systems durch eine sachkundige Stelle (eine Art Monitor) verbunden werden kann, und die Verbandsauflösung. Die Auflösung des Verbandes setzt einen besonders schweren Fall sowie das beharrliche Begehen erheblicher Verbandsstraftaten durch eine Leitungsperson und die Gefahr voraus, dass bei Fortbestand des Verbandes weiter erhebliche Verbandsstraftaten begangen werden.
- Die Sanktion kann in demselben Strafverfahren verhängt werden, das auch gegen Individualbeschuldigte geführt wird. Das Verfahren kann aber auch nur gegen den Verband geführt werden. Ein dem Strafbefehl nachgebildeter Verbandsanktionsbescheid ist ebenfalls möglich. Dieser wird durch das Gericht ohne öffentliche Hauptverhandlung erlassen.
- Die Höhe der Verbandsgeldsanktion beträgt bei einer vorsätzlichen Verbandsstraftat maximal zehn Millionen Euro, bei einer fahrlässigen Tat maximal fünf Millionen Euro. Bei Verbänden, deren durchschnittlicher Jahresumsatz in den letzten drei Geschäftsjahren mehr als einhundert Millionen Euro betragen hat, beträgt die maximale Sanktion zehn Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes. Maßgeblich ist der weltweite Umsatz aller Verbände und Personen, die mit dem betroffenen Verband in einer wirtschaftlichen Einheit operieren.
- Bei Tatmehrheit wird eine Gesamtsanktion gebildet, die das Doppelte des für eine einzelne Sanktion vorgesehenen Höchstmaßes, d.h. maximal 20 Millionen Euro bzw. 20 Prozent des Jahresumsatzes nicht übersteigen darf.
- Bei der Bemessung der Sanktion sind u.a. auch das vorhandene Compliance-System sowie ergriffene Verbesserungsmaßnahmen und das Bemühen des Verbandes zu berücksichtigen, die Tat aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen.
- Bei einer großen Zahl von Geschädigten kann das Gericht die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes anordnen.
- Die Einziehung von Taterträgen findet unabhängig von der Verhängung einer Verbandssanktion nach den allgemeinen Regeln statt. Dabei gilt das Bruttoprinzip.
2. Interne Untersuchungen
Der Entwurf enthält keine verbindlichen Vorgaben für interne Untersuchungen. Stattdessen wird das Thema in Form eines „Anreizmodells“ behandelt. So sieht der Abschnitt Sanktionsbemessung Regelungen über „verbandsinterne Untersuchungen“ vor, die durch den Verband selbst oder durch von diesem beauftragte Dritte durchgeführt werden können. Inhaltliche Vorgaben für die Durchführung der internen Untersuchung werden sodann im Rahmen eines fakultativen Sanktionsmilderungsgrundes gemacht: Sofern der Verband eine interne Untersuchung durchgeführt hat und diese bestimmte Anforderungen erfüllt, kann das Gericht die Verbandssanktion mildern. In diesem Fall soll sich das Höchstmaß der Sanktion auf die Hälfte reduzieren (Sanktionsrahmenverschiebung). Zudem scheiden dann eine Verbandsauflösung und die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung aus. Schließlich kann die Sanktion nur durch einen (gerichtlichen) Sanktionsbescheid verhängt werden; d.h. eine öffentliche Hauptverhandlung findet nicht statt. Damit das Gericht die Sanktion mildern kann, müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:
- Einhaltung der Gesetze bei der Durchführung der internen Untersuchung
- wesentlicher Beitrag an der Aufklärung der Verbandsstraftat
- der Verteidiger des Unternehmens darf nicht an der internen Untersuchung mitwirken
- uneingeschränkte Kooperation mit der Staatsanwaltschaft
- Vorlage aller wesentlichen Dokumente sowie eines Abschlussberichts
- Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens bei der Durchführung der internen Untersuchung. Diese Grundsätze sollen insbesondere umfassen:
- Belehrung der befragten Mitarbeiter darüber, dass ihre Angaben in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können und
- Einräumung eines Rechts auf Beiziehung eines anwaltlichen Beistands oder eines Mitglieds des Betriebsrats sowie Belehrung über dieses Recht und
- Einräumung eines Rechts auf Verweigerung von Auskünften auf Fragen, deren Beantwortung den Mitarbeiter oder nahe Angehörige gefährden würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, sowie Belehrung über dieses Recht
Liegen die Voraussetzungen für die Sanktionsrahmenverschiebung nicht vor, ist eine durchgeführte interne Untersuchung (lediglich) im Rahmen der Bemessung der Sanktion als einer von vielen Faktoren zu berücksichtigen.
3. Beschlagnahme bei Rechtsanwälten
Der Entwurf sieht schließlich eine Änderung der strafprozessualen Regelungen über Beschlagnahmeverbote vor. Anwaltliche Unterlagen sollen in weiterem Umfang beschlagnahmt werden können. In Rechtsprechung und Literatur ist bisher umstritten, ob Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht eines Rechtsanwalts bezieht, nur dann nicht bei dem Rechtsanwalt beschlagnahmt werden dürfen, wenn es sich bei dem Mandanten des Rechtsanwalts um den Beschuldigten (bzw. einen Verband mit beschuldigtenähnlicher Stellung) handelt, oder ob das Beschlagnahmeverbot auch das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwälten und sonstigen Mandanten schützt, die keine Beschuldigten sind (z.B. Zeugen oder Angehörige des Beschuldigten oder Unternehmen, die eine interne Untersuchung durchführen und keine beschuldigtenähnliche Stellung haben). Der Wortlaut des Gesetzes spricht dafür, dass auch diese Mandatsverhältnisse vor Beschlagnahmen geschützt sind. Der Entwurf will die Beschlagnahmeverbote demgegenüber ausdrücklich auf diejenigen Fälle beschränken, in denen es ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten (bzw. beschuldigten Verband) und dem Zeugnisverweigerungsberechtigten zu schützen gilt. Mandatsverhältnisse mit Personen und Unternehmen, die nicht Beschuldigte sind, sollen nicht geschützt sein. Zudem soll klargestellt werden, dass auch die Durchsuchung von Anwaltskanzleien zulässig ist, soweit keines der nach dem Entwurf sehr engen Beschlagnahmeverbote eingreift. Die vor wenigen Jahren zur Stärkung des Schutzes vor staatlichen Ermittlungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte geänderte Regelung des § 160a StPO soll ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt werden, soweit es Durchsuchung und Beschlagnahme betrifft.
Für Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Über das weitere Gesetzgebungsverfahren informieren wir Sie gerne.