Mandanteninformation

GWB-Digitalisierungsgesetz

Wesentliche Änderungen im Überblick
 

Am 19. Januar 2021 trat die 10. GWB-Novelle in Kraft. Die ­beschlossenen Änderungen beziehen sich neben kleineren Anpassungen auf zwei Kernelemente: 

(I.) Änderungen im Bereich der Fusions­kontrolle, insbesondere Erhöhung der sog. Inlands­umsatzs­chwellen und Verlängerung der Prüfungsfrist (Hauptprüf­verfahren) von vier auf fünf Monate;

(II.) Anpassung und Verschärfung der Missbrauchsaufsicht im Kontext digitaler Märkte

Während nach Einschätzung des Bundeskartellamts („BKartA“) mehrere hundert Fusions­kontroll­verfahren pro Jahr wegfallen werden, geht die Gesetzes­begründung von gesteigerten Verfahrens­zahlen im Bereich der Missbrauchs­aufsicht aus. 


I. Fusionskontrolle 

1. Umsatzschwellen (§ 35 GWB)

Zusammenschlüsse unterliegen künftig nur dann der Fusionskontrolle, wenn ein beteiligtes Unternehmen einen Inlandsumsatz von mehr als EUR 17,5 Mio. (statt bisher EUR 5 Mio.) und ein anderes beteiligtes Unternehmen einen Inlandsumsatz von mehr als EUR 50 Mio. (statt bisher EUR 25 Mio.) im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr erzielt hat. Der von allen beteiligten Unternehmen weltweit erzielte Umsatz muss weiterhin bei insgesamt mehr als EUR 500 Mio. im letzten abge­schlossenen Geschäftsjahr liegen. 

Wenn im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr ein beteiligtes Unternehmen einen Inlandsumsatz von mehr als EUR 50 Mio. (statt bisher EUR 25 Mio.), jedoch weder das zu erwerbende Unternehmen noch ein anderes beteiligtes Unternehmen einen Inlands­umsatz von mehr als EUR 17,5 Mio. (statt bisher EUR 5 Mio.) erzielt hat, unterliegt der Zusammenschluss trotzdem der Fusionskontrolle, wenn der mit der 9. GWB-Novelle eingeführte Transaktionsschwellenwert von EUR 400 Mio. überschritten ist. Wie bisher muss der von allen beteiligten Unternehmen weltweit erzielte Umsatz bei insgesamt mehr als EUR 500 Mio. im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr liegen und das zu er­werbende Unternehmen muss in erheblichem Umfang in Deutschland tätig sein.

2. Sog. Anschlussklausel (§ 35  Abs. 2  S. 1 GWB)

Bisher bestand keine Anmeldepflicht, wenn sich ein Unternehmen, das nicht von einem anderen Unternehmen abhängig ist und im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von weniger als EUR 10 Mio. erzielt hat, mit einem anderen Unter­nehmen zusammenschließt. Diese Ausnahmeregelung ist aufgrund der angehobenen Umsatzschwellen in § 35 Abs. 1 und  Abs. 1a GWB obsolet und wurde gestrichen. 

3. Bagatellmarktklausel (§ 36 Abs. 1  S. 2  Nr. 2 GWB) 

Zusammenschlüsse können nicht untersagt werden, wenn die Gründe für eine Untersagung nur Bagatellmärkte mit einem Inlandsvolumen von bis zu EUR 20 Mio. (statt bisher EUR 15 Mio.) im letzten Kalenderjahr betreffen. 
Allerdings können von nun an generell mehrere Bagatellmärkte gemeinsam be­trachtet werden. Wenn die Volumina mehrerer kleiner Inlandsmärkte, auf denen jeweils Unter­sagungsvoraussetzungen vorliegen, insgesamt über der Bagatellmarktschwelle liegen, ist künftig eine Untersagung möglich, auch wenn keiner der einzelnen Märkte ein Volumen über der Bagatellmarktschwelle hat und die Märkte nicht geografisch oder sachlich benachbart sind. 

4. Presserechenklausel (§ 38 Abs. 3 GWB)

Die von Printmedien erzielten Umsätze sind zur Bestimmung der Umsatzschwellen nur noch mit dem Faktor 4 zu multiplizieren (und nicht mehr mit dem Faktor 8). Somit wird die Zahl der fusionskontrollpflichtigen Pressefusionen im Printbereich voraussichtlich sinken.

5. Zusammenziehen von zwei oder mehr Erwerbsvorgängen (§ 38 Abs. 5 S. 3 GWB)

Zwei oder mehr Zusammenschlüsse, die innerhalb von zwei Jahren zwischen denselben Personen oder Unternehmen getätigt werden, werden als ein einziger Zusammenschluss behandelt. Eine Anmeldepflicht galt bisher nur, soweit hierdurch erstmals die deutschen Umsatzschwellen überschritten wurden. Der Begriff „erstmals“ wird nun gestrichen, um eine Umgehung der Anmeldepflicht zu vermeiden. Eine Aufspaltung eines Zusammenschlusses in einen größeren, unproblematischen Teil, der angemeldet werden muss und vom BKartA freigegeben wird, und einen kleinen, wettbewerblich bedenklichen Teil, der nicht kontrollpflichtig ist, ist nicht mehr möglich. 

6. Aufforderung zur Anmeldung durch das BKartA (neuer § 39a GWB)

Das BKartA kann einzelne Unternehmen per Verfügung verpflichten, in den drei Jahren ab Erhalt der Verfügung jeden Erwerbsvorgang anzumelden (also auch solche Vorgänge, die normalerweise nicht in die Fusionskontrolle fallen, abgesehen von Kleinstzusammenschlüssen). Dies gilt allerdings nur für bestimmte Wirtschafts­zweige, die das BKartA zuvor im Rahmen einer Sektoruntersuchung nach § 32e GWB untersucht hat. Die Pflicht zur Anmeldung kann nach drei Jahren erneuert werden.

Es müssen „objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb im Inland in den genannten Wirtschaftszweigen erheblich behindert werden könnte“. Der Erwerber muss in den genannten Wirtschaftszweigen einen Anteil von mindestens 15 % am Angebot oder an der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland haben.1  Weiterhin müssen folgende Umsatzschwellen erreicht sein:

  • Der Erwerber hat einen weltweiten Umsatz von mehr als EUR 500 Mio.,
  • das Zielunternehmen hat einen weltweiten Umsatz von mehr als EUR 2 Mio. und mehr als 2/3 des Umsatzes in Deutschland erzielt.

7. Prüfungsfristen (§ 40  Abs. 2  S. 2  GWB)

Die Frist des BKartA für die Prüfung von Zusammenschlüssen im Hauptprüf­verfahren wird von vier Monaten ab Einreichung der Anmeldung auf fünf Monate verlängert.

8. Vollzugsanzeige (§ 39 Abs. 6 GWB)

Die Pflicht zur Vollzugsanzeige für vom BKartA freigegebene Zusammenschlüsse entfällt. Die Verpflichtung zur nachträglichen Anzeige nicht angemeldeter Zu­sammenschlüsse bleibt bestehen.

II. Missbrauchsaufsicht 

1. Einführung des Konzepts der Intermediationsmacht

Die absolute und die relative Marktmacht umfassen nun das Konzept der Intermedia­tionsmacht, sodass sich eine marktbeherrschende Stellung oder Abhängigkeit auch aus der Bedeutung von Vermittlungsleistungen eines Unternehmens auf mehrseitigen Märkten ergeben kann. Die Ergänzung zielt hauptsächlich auf hybride Plattformen ab, deren eigene Angebote mit den Angeboten ihrer Nachfrager konkurrieren.

2. Erleichterter Datenzugang 

Die Verweigerung des Zugangs zu Daten eines marktbeherrschenden oder marktstarken Unternehmens oder eines Unternehmens mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb kann künftig unter abgesenkten Vorausset­zun­gen wettbewerbsrechtlich missbräuchlich sein bzw. untersagt werden (§§ 19 Abs. 2 Nr. 4, 19a Abs. 2 Nr. 5, 20 Abs. 1a GWB). 

3. Neuartiger Eingriffstatbestand (neuer § 19a GWB): 

Die Novelle schafft einen neuartigen Eingriffstatbestand mit besonderen Verhaltens­pflichten für große Plattformen und ähnliche Unternehmen, deren „überragende markt­übergreifende Bedeutung für den Wettbewerb“ das BKartA für einen Zeitraum von fünf Jahren durch Verfügung festgestellt hat. Um die Umsetzung der Neuregelung zu beschleunigen, führt der Rechtsweg gegen eine entsprechende Verfügung des BKartA unmittelbar zum BGH.

Adressaten des neuen Eingriffstatbestands sind Unternehmen, die in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten und in Netzwerken tätig sind. Die „überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb“ wird durch das BKartA unter Berücksichtigung verschiedener Parameter festgestellt. Das Gesetz nennt bspw. die marktbeherrschende Stellung, den Zugang zu Ressourcen und Daten und die verti­kale Integration. Dabei handelt es sich um eine marktübergreifende Betrachtung. Hierdurch soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass digitale Plattformen und Netzwerke aufgrund konglomerater Strukturen und der Besetzung von Schlüssel­positionen für verschiedene Märkte von zentraler Bedeutung sein können, ohne not­wendigerweise auf diesen Märkten jeweils marktbeherrschend zu sein. 

Auch wenn kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliegt, kann das BKartA einem derartigen Unternehmen bestimmte Verhaltensweisen untersagen, soweit nicht das Unternehmen nachweist, dass sie sachlich gerechtfertigt sind. Diese Verhaltensweisen betreffen wettbewerbsbeschränkende Praktiken, die als auf digitalen Märkten relevant identifiziert wurden. Beispiele sind die Bevorzugung eigener Produkte sowie die Absicherung der Unangreifbarkeit digitaler Ökosysteme mittels Behinderungsmaßnahmen.

Damit sind Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb zukünftig strengeren Regeln unterworfen als „klassische“ marktbeherrschende oder marktstarke Unternehmen. Der Gesetzgeber geht von bis zu drei Verfahren zur Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb in den ersten 5 Jahren nach Inkrafttreten der Novelle aus.
 

1    Hierbei handelt es sich nicht um einen Marktanteil.

  

» DOWNLOAD Newsletter (PDF)