Neues Unternehmensstrafrecht im Bundestag

Im August 2019 hatte das Bundesjustiz­ministerium den Referenten-Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmens­kriminalität veröffentlicht.1 Sein Kernstück ist das neue Verbands­sanktionen­gesetz, das ein völlig neues System der Sanktionierung von Unternehmen für unternehmens­bezogene Straftaten schafft: ein Unternehmens­straf­recht. Der Entwurf wurde vor allem von den in­zwischen angehörten Verbänden kritisiert. Gleichwohl hat die Bundes­regierung den Entwurf im Sommer 2020 mit lediglich geringfügigen Änderungen und unter der Bezeichnung „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ in das parlamentarische Verfahren eingebracht. Nach harscher Kritik durch den Rechts- und den Wirtschafts­ausschuss hat der Bundesrat am 18. September 2020 zu einzelnen Punkten Stellung genommen, jedoch keine grundsätzlichen Einwände erhoben. Als nächstes wird die Vorlage im Bundestag behandelt.

Der umfangreiche Entwurf beinhaltet sowohl Regelungen über die Sanktionierung von Verbänden (1.) als auch Vorgaben zu internen Untersuchungen (2.). Er regelt zudem die Beschlagnahme von Gegenständen, die sich im Gewahrsam von Rechtsanwälten oder ­anderen Berufsgeheimnisträgern befinden (3.). Der Bundesrat hat Änderungen des Ent­wurfs angemahnt (4.).

1. Sanktionierung von Verbänden

Das im Entwurf vorgesehene Verbandssanktionengesetz soll die Sanktionierung von Verbänden wegen Straftaten regeln, durch die verbandsbezogene Pflichten verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte. Zu diesen sog. Verbandstaten zählen nicht nur Wirtschaftsstraftaten, sondern sämtliche Straftatbestände – auch solche, die nur fahrlässiges Handeln erfordern. Die wesentlichen Inhalte des geplanten Gesetzes sind:

  • In den Anwendungs­bereich des Verbandssanktionen­gesetzes fallen juristische ­Personen des öffent­lichen oder privaten Rechts, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personen­gesell­schaften. Anders als im Entwurf von August 2019 sind im Regierungs­­entwurf solche Verbände vom Anwendungs­­bereich ausgenommen, deren Zweck nicht auf einen wirtschaft­lichen Geschäfts­­betrieb gerichtet ist. Für diese Verbände soll es bei den bisherigen Regelungen bleiben.
  • Die Sanktionierung eines Verbandes setzt voraus, dass entweder eine Leitungs­­person des Verbandes eine Verbands­tat begangen hat oder dass eine andere Person eine Verbands­tat begangen hat und eine Leitungs­person die Tat durch angemessene Vorkehrungen hätte verhindern oder wesentlich erschweren können. Es genügt daher eine unternehmens­­bezogene Straftat, die durch Compliance-Maßnahmen zumindest erschwert worden wäre, ohne dass es auf das Verschulden (vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln) einer Leitungs­person ankommt.
  • Sofern eine Verbandstat vorliegt, auf die das deutsche Straf­recht anwendbar ist, ­können Verbände unabhängig davon sanktioniert werden, ob sie ihren Sitz in Deutschland oder im Ausland haben.
  • Werden Taten im Ausland begangen und ist auf sie das deutsche Strafrecht nicht anwend­bar, sollen Verbänden mit Sitz in Deutschland dennoch sanktioniert werden können, wenn die Tat nach deutschem Strafrecht eine Straftat wäre und auch am Tatort mit Strafe bedroht ist. Dadurch sollen deutsche Unternehmen für Straftaten ihrer im Ausland ­tätigen ausländischen Mitarbeiter belangt werden können.
  • Verbandstaten sind grundsätzlich zwingend zu verfolgen und zu sanktionieren; Staats­anwalt­schaft und Gericht haben kein Ermessen (Legalitäts­prinzip). Allerdings sollen die straf­prozessualen Regeln über die Einstellung des Verfahrens aus Opportunitäts­­gründen (insbesondere wegen Gering­fügig­keit oder gegen Auflagen) auch auf Verbände anwendbar sein. Zudem enthält der Entwurf eigene, verbands­spezifische Einstellungs­gründe. Zum Beispiel kann die Staats­anwaltschaft von der Verfolgung des Verbandes absehen, wenn im Ausland wegen der Verbandstat die Verhängung einer Sanktion gegen den ­Verband zu erwarten ist.
  • Der Verband kann in demselben Verfahren verfolgt werden, das gegen Individual­­be­schuldigte geführt wird, oder in einem nur gegen den Verband selbst geführten Verfahren. Verbände haben die gleichen Rechte und Pflichten wie Beschuldigte. Auch die Regeln über die Verteidigung sind entsprechend anzuwenden. 
  • Als mögliche Sanktionen sind die Verbandsgeld­sanktion und die Verwarnung mit Ver­bandsgeld­sanktions­vorbehalt vorgesehen. Letztere ist vergleichbar mit einer Bewährungs­strafe. Sie kann mit Auflagen und Weisungen verbunden werden, etwa einer Geldzahlung oder dem Nachweis einer Verbesserung des Compliance-Systems durch eine sachkundige Stelle (eine Art „Monitor“ nach US-Vorbild). Hat die Verbandstat eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, kann das Gericht als Nebenfolge zur Information von Geschädigten die öffentliche Bekanntmachung der Sanktionierung anordnen. Die Verbands­auflösung, die im Entwurf von August 2019 als weitere Sanktion vorgesehen war, ist im Regierungsentwurf nicht mehr enthalten.
  • Die Höhe der Verbandsgeld­sanktion beträgt bei einer vorsätzlichen Verbandstat maximal zehn Millionen Euro, bei einer fahrlässigen Tat maximal fünf Millionen Euro. Das entspricht der aktuellen Rechtslage. Verbände, deren durchschnittlicher Jahresumsatz in den letzten drei Geschäftsjahren vor der Verurteilung einhundert Millionen Euro überstiegen hat, riskieren hingegen bis zu zehn Prozent ihres durchschnittlichen Jahres­umsatzes. Maßgeblich ist der weltweite Umsatz aller Verbände und Personen, die mit dem betroffenen Verband in einer wirtschaftlichen Einheit operieren. Auch Gesellschaften mit sehr geringem Umsatz können daher aufgrund eines hohen Konzernumsatzes von der Regelung erfasst sein. Da es nur auf den Umsatz ankommt, spielt die Höhe des Gewinns für den Sanktionsrahmen keine Rolle. 
  • Erst bei der konkreten Bemessung der Sanktion sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verbands zu berücksichtigen; im Fall einer konzern­rechtlichen Verlust­übernahme­­pflicht auch diejenigen der Konzernmutter. Ebenfalls zu berücksichtigen sind das vorhandene Compliance-System sowie ergriffene Verbesserungsmaßnahmen und das Bemühen des Verbandes, die Verbandstat aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen.
  • Taterträge können zusätzlich zur Verhängung einer Verbandssanktion nach den allge­meinen Regeln eingezogen werden. Dabei gilt das Bruttoprinzip.
  • Damit sich Verbände nicht durch Umstrukturierungen einer Sanktionierung entziehen können, sollen Sanktionen auch gegen Rechtsnachfolger des Verbands verhängt werden können. Würde eine konzerninterne Umstrukturierung oder eine Übertragung wesent­licher Wirtschaftsgüter zu einer Sanktionslücke führen, wird sie durch eine Ausfallhaftung des jeweils herrschenden Verbandes geschlossen.
  • Rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen über die Verhängung von Verbandssanktionen und die Festsetzung von Geldbußen nach § 30 OWiG werden in ein Verbands­sanktionenregister eingetragen. Nach der Begründung des Entwurfs handelt es sich um ein Äquivalent zum Bundeszentralregister und damit um ein primär für die Justiz ­konzipiertes Informationssystem.

2. Interne Untersuchungen

Der Entwurf enthält keine verbindlichen Vorgaben für interne Untersuchungen, sondern ­sieht ein „Anreizmodell“ speziell für Sanktionsverfahren nach dem Verbandssanktionen­gesetz vor: Das Gericht soll die Verbandssanktion mildern, wenn der Verband selbst oder durch von ihm beauftragte Dritte eine „verbandsinterne Untersuchung“ durchgeführt hat und folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • wesentlicher Beitrag zur Aufklärung der Verbandstat und der Verbandsverantwortlichkeit
  • keine Mitwirkung des Verteidigers des Verbandes oder eines Beschuldigten an der ­internen Untersuchung 
  • ununterbrochene und uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden
  • Vorlage des Ergebnisses der verbandsinternen Untersuchung sowie aller wesentlichen Dokumente und eines Abschlussberichts vor Eröffnung des Hauptverfahrens 
  • Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens; bei internen Befragungen insbesondere: 
    • Belehrung der Befragten darüber, dass ihre Angaben in einem Strafverfahren ­gegen sie verwendet werden können
    • Einräumung des Rechts auf Beiziehung eines anwaltlichen Beistands oder eines Mitglieds des Betriebsrats sowie entsprechende Belehrung der Befragten
    • Einräumung des Rechts auf Verweigerung von Auskünften auf Fragen, deren Beantwortung die Befragten oder nahe Angehörige gefährden würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, sowie entsprechende Belehrung

Interne Untersuchungen sind dann ein „vertypter“ Sanktionsmilderungsgrund, das Höchst­maß der Sanktion reduziert sich auf die Hälfte (Sanktionsrahmenverschiebung) und die öffentliche Bekanntmachung einer Verurteilung scheidet aus. Zudem kann die Sanktion bei Zustimmung des Verbands nur durch einen (dem Strafbefehl nachgebildeten) gerichtlichen Sanktionsbescheid verhängt werden; d.h. eine öffentliche Hauptverhandlung findet nicht statt. 

Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ist die Durchführung einer internen Untersuchung im Rahmen der konkreten Sanktionszumessung zu berücksichtigen. 

Zeigt der Verband an, dass er eine verbandsinterne Untersuchung durchführt, und zeichnet sich ab, dass die Voraussetzungen für die vertypte Sanktionsmilderung erfüllt werden, können die Verfolgungsbehörden vorläufig von der Verfolgung absehen, um das Ergebnis der internen Untersuchung abzuwarten.

3. Beschlagnahme bei Rechtsanwälten

Der Gesetzentwurf sieht außerdem eine Änderung der strafprozessualen Regelungen über Beschlagnahmeverbote vor. Anwaltliche Unterlagen sollen in weiterem Umfang als bisher beschlagnahmt werden können:  

  • In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, inwieweit Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht eines Rechtsanwalts bezieht, bei dem Rechtsanwalt beschlagnahmt werden dürfen. Der Wortlaut der Strafprozessordnung spricht dafür, dass auch das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwälten und solchen Mandanten geschützt ist, die keine Beschuldigten sind (z.B. Zeugen oder Unternehmen, die eine interne Untersuchung durchführen und keine beschuldigtenähnliche Stellung haben).  
  • Der Entwurf beschränkt die Beschlagnahmeverbote ausdrücklich auf diejenigen Fälle, in denen es ein Vertrauensverhältnis mit einem Beschuldigten (bzw. einem beschuldigten Verband) zu schützen gilt. Mandatsverhältnisse mit Personen und Unternehmen, die nicht Beschuldigte sind, sollen nicht geschützt sein. Zudem soll klargestellt werden, dass auch die Durchsuchung von Anwaltskanzleien zulässig ist, soweit keines der nach dem Entwurf sehr engen Beschlagnahmeverbote eingreift. Die vor wenigen Jahren zur Stärkung des Schutzes vor staatlichen Ermittlungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte geänderte Regelung des § 160a StPO soll ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt ­werden, soweit es Durchsuchung und Beschlagnahme betrifft. 
  • Die Regelung betrifft nicht nur Unternehmen, sondern auch Privatpersonen. Jede schriftliche oder elektronische Korrespondenz mit einem Rechtsanwalt sowie dessen Arbeitsprodukte und Notizen, etwa über Gespräche mit dem Mandanten, sollen beschlagnahmt und in Straf-, Bußgeld- oder Sanktionsverfahren verwendet werden ­dürfen, sofern der konkrete Mandant nicht Beschuldigter ist. Geschützt wird nur das Verhältnis eines Beschuldigten zu seinem Rechtsanwalt und nicht das Verhältnis ­sonstiger Mandanten zu ihrem Rechtsanwalt. 

 

4. Ausblick

Der Entwurf ist schon jetzt vielfach, doch bislang folgenlos kritisiert worden. Die Notwendigkeit eines gesonderten Unternehmensstrafrechts wird bezweifelt, weil schon das bestehende Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht hinreichende Möglichkeiten zur Reaktion auf Rechtsverstöße bereithalte. Durch das geplante Gesetz würden Arbeitnehmer und Gesellschafter für das Fehlverhalten Einzelner bestraft. Außerdem wird beanstandet, dass Staatsanwaltschaften zukünftig gezwungen sein werden, ohne Rücksicht auf Schwere und Bedeutung der unternehmensbezogenen Straftat ein Verbandssanktionsverfahren einzu­leiten. Die dadurch gebundenen Ressourcen würden an anderer Stelle benötigt. Zudem werden die pauschalen und allein an den Konzernumsatz gekoppelten Sanktionsobergrenzen sowie die vorgesehene Trennung von interner Untersuchung und Verteidigung kritisiert. 

Der Rechtsausschuss und der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats haben die Kritik aufgegriffen und eine Ablehnung des Gesetzentwurfs empfohlen. Dem ist der Bundesrat nicht gefolgt. Er hat jedoch zu einzelnen Punkten Stellung genommen: 

  • Die öffentliche Bekanntmachung der Sanktionierung soll entfallen. 
  • Bei Begehung einer Verbandstat durch Personen, die nicht Leitungspersonen sind, soll die Verbandsverantwortlichkeit nur dann ausgelöst werden, wenn eine Leitungsperson geeignete Vorkehrungen zur Verhinderung oder Erschwerung der Tat schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) unterlassen hat. 
  • Die Verfolgungsbehörde soll von der Verfolgung des Verbands absehen können, wenn die Verbandsverantwortlichkeit neben dem individuellen Verschulden nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Eine gerichtliche Zustimmung soll dafür nicht erforderlich sein. In Betracht kommen u.a. Konstellationen, in denen der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Bereich individueller Verantwortung liegt oder der Verband weitgehend mit dem Täter der Verbandstat identisch ist.  
  • Im Gesetzestext soll klargestellt werden, dass Sanktionen gegen Rechtsnachfolger des Verbands den Wert des übernommenen Vermögens sowie die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Verbandssanktion nicht übersteigen dürfen. 
  • Die Übergangsfrist bis zum Inkrafttreten des Gesetzes soll auf drei Jahre – statt auf zwei – festgesetzt werden. 
  • Der Bundestag soll prüfen, inwieweit die vorgesehene Verbandsverantwortlichkeit und die vorgesehenen Sanktionen für kleinere oder mittlere Unternehmen verhältnismäßig sind. Außerdem soll geprüft werden, ob in ihrem Fall bestimmte Verbandstaten ganz vom Anwendungsbereich des Entwurfs ausgenommen werden können.  
  • Es soll präzisiert werden, wann Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten als angemessen gelten.
  • Um eine ausufernde Befassung deutscher Strafverfolgungsbehörden mit Auslandstaten zu verhindern, für die das deutsche Strafrecht nicht anwendbar ist, soll geprüft werden, ob an die im Entwurf vorgesehene Voraussetzung des Verbandssitzes in Deutschland weitere Anforderungen zu stellen sind.  
  • Der verfahrensrechtliche Teil des Verbandssanktionengesetzes soll mit dem Ziel überarbeitet werden, das Sanktionsverfahren effektiver auszugestalten, um einer drohenden Überlastung der Justiz vorzubeugen.

Im nächsten Schritt wird sich der Bundestag mit dem Entwurf befassen.
 

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1. Vgl. dazu unseren Newsletter „Neues Unternehmensstrafrecht kommt“ aus August 2019