Brexit & Intellectual Property

Am 23.  Juni 2016 hat die Mehrheit der Bürger des Vereinigten Königreichs für einen Austritt aus der Europäischen Union ge­stimmt, den sogenannten "Brexit". Die Möglichkeit eines solchen Austritts ist in Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union vom 13. Dezember 2007 geregelt. Danach beginnt das Austrittsverfahren mit der Mitteilung des austrittswilligen Staates an den Europäischen Rat. Mit dieser Mitteilung beginnt eine zweijährige Frist für Verhandlungen, an deren Ende der rechtswirksame Austritt aus der Union steht. Ein Brexit wird Folgen für nahezu alle Rechtsbereiche haben, so auch für den gewerblichen Rechtsschutz. Die Einzelheiten sind zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig offen und verlässliche Vorhersagen über die zukünftige Entwicklung sind kaum möglich. Wir haben jedoch die wesentlichen Eckpunkte für die einzelnen Schutzrechte zusammengefasst, mit denen wir Rechteinhabern eine erste Orientierung zum Thema Brexit & IP bieten und aufzeigen wollen, wo unter Umständen bereits jetzt Handlungsbedarf besteht.

Unionsmarken

Tritt das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union aus, findet die Unionsmarkenverordnung im Vereinigten Königreich keine Anwendung mehr. Die Schutzwirkung einer Unionsmarke im Vereinigten Königreich würde daher mit dem Wirksamwerden eines Brexit enden.

Praktisch erscheint dieses Szenario jedoch unwahrscheinlich, da die Europäische Union und das Vereinigte Königreich voraussichtlich ein Austrittsabkommen schließen werden, das Regelungen enthalten wird, um einen abrupten, ersatzlosen Wegfall bestehender Rechtspositionen im Vereinigten Königreich in Folge des Brexit zu verhindern. Denkbar erscheint zum Beispiel eine Regelung, wonach zwar die Schutzwirkung einer bestehenden Unionsmarke für das Vereinigte Königreich entfällt, gleichzeitig aber – automatisch oder auf Antrag – eine entsprechende nationale Marke eingetragen wird, die die Priorität der Unionsmarke übernimmt. Inhaber einer Unionsmarke sollten die weiteren Entwicklungen genau verfolgen.

Der Brexit kann außerdem Auswirkungen auf die rechtserhaltende Benutzung einer Unionsmarke haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn Inhaber ihre Unionsmarke bislang ausschließlich im Vereinigten Königreich benutzen. Denn unabhängig von der letztlich getroffenen Übergangsregelung gilt ab einem Brexit eine Verwendung des entsprechenden Zeichens im Vereinigten Königreich nicht länger als „rechtserhaltende Benutzung“ der Unionsmarke. Für alle zukünftigen Markenanmeldungen empfiehlt es sich, neben einer Unionsmarke gegebenenfalls auch eine parallele britische Marke beim UK IPO eintragen zu lassen.

Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Gemeinschaftsgeschmacksmuster beruhen ebenso wie Unionsmarken auf einer EU-Verordnung, namentlich der Gemeinschafts­geschmacks­muster­verordnung. Auch insoweit gilt also der Grundsatz, dass die Schutz­wirkung eines ein­getragenen Gemeinschafts­geschmacks­musters im Vereinigten Königreich mit dessen EU-Austritt enden wird. Für das eingetragene Gemeinschafts­geschmacks­muster ist aber ebenso wie bei der Unions­marke denkbar, dass es eine Überleitungs­regelung zum Beispiel dergestalt geben wird, dass mit dem Wirkungs­verlust des Gemeinschafts­geschmacks­musters gleich­zeitig ein identisches UK-Design mit gleicher Priorität beim UK IPO eingetragen wird.

Für das nicht eingetragene Gemeinschafts­geschmacks­muster, das eine Schutzdauer von maximal 3 Jahren hat und vor allem für die häufig geänderten Designs in der Bekleidungs­industrie eine wichtige Rolle spielt, scheidet diese Lösung jedoch mangels Eintragung aus. Der bestehende unions­rechtliche Schutz würde daher im Vereinigten Königreich mit dem Austritt aus der Europäischen Union entfallen. Das betreffende nicht eingetragene Design wäre dann allenfalls nach den bestehenden nationalen Vorschriften des UK Copyright, Designs and Patents Act 1998 (CDPA) geschützt. Diese unterscheiden sich jedoch sowohl in den Schutz­voraus­setzungen als auch im Umfang des gewährten Schutzes von den Regelungen der Gemeinschafts­geschmacks­muster­verordnung. Beispiels­weise gewährt der CDPA Designschutz nur für Formen (shapes) und Strukturen (configurations), anders als die Gemeinschafts­geschmacks­muster­verordnung aber nicht für Oberflächendekore.

Für die Zukunft empfiehlt es sich, für einen effektiven Designschutz im Vereinigten Königreich neben den Möglichkeiten, die derzeit noch die Gemeinschafts­geschmacks­muster­verordnung bietet, auch die nationalen Schutz­möglichkeiten nach dem CDPA zu prüfen.

Europäische Patente

Ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hätte keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Patent­schutz durch Europäische Patente (EPs), da die Mitgliedschaft in der EU keine Voraus­setzung für die Mitglied­schaft in der Europäischen Patent­organisation ist. Das Vereinigte Königreich ist zudem selbst unmittelbar Vertrags­staat des Europäischen Patent­übereinkommens (EPÜ). Mit Wirkung für das Vereinigte Königreich erteilte EPs bestehen daher auch nach einem Brexit unverändert fort, und ihre Wirkung im Vereinigten Königreich bestimmt sich weiterhin nach nationalem Recht.

Geplantes Einheitspatent und Einheitliches Patentgericht

Ein in den letzten Jahren vielbeachtetes europäisches Projekt im Bereich des Patentrechts ist das geplante Einheits­patent­system bestehend aus einem neuen Europäischen Patent mit ein­heitlicher Wirkung (Einheits­patent) und einem supra­nationalen einheitlichen Patentgericht (EPG). Bislang ist geplant, dass Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich das Einheitspatent­übereinkommen (EPGÜ) bis Ende 2016/​Anfang 2017 ratifizieren. Eine Ratifikation durch diese drei Länder ist notwendige Voraussetzung für das Inkraft­treten des EPGÜ und damit für die Eröffnung des EPG sowie die Möglichkeit zur Anmeldung von Einheits­patenten.

Angesichts des Brexit-Referendums ist jedoch fraglich, ob es bei diesem Zeitplan bleibt. Zum einen ist aus politischen Gründen zweifelhaft, dass das britische Parlament gerade zum jetzigen Zeitpunkt ein Gesetz ratifizieren wird, das eine verstärkte Kooperation und engere Verflechtung zwischen Mitglied­staaten der Europäischen Union zum Ziel hat. Zum anderen ist nach den bestehenden Verträgen die Mitgliedschaft in der Europäischen Union Voraussetzung für die Beteiligung am Einheits­patent­system. Selbst wenn also das EPGÜ zunächst unter Beteiligung des Vereinigten Königreichs in Kraft treten und das EPG seine Arbeit aufnehmen sollte, wären innerhalb kurzer Zeit deutliche Änderungen am EPGÜ sowie zusätzliche Regelungen im Austritts­vertrag zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich erforderlich, um eine weitere Beteiligung des Vereinigten Königreichs am Einheits­patent­system als „Drittstaat“ zu ermöglichen. Hierbei stellen sich auch unionsrechtliche Fragen hinsichtlich der Teilnahme­möglichkeit von Nicht-EU-Staaten am EPGÜ (vgl. Gutachten 1/09 des EuGH (Plenum) v. 8. März 2011), die gelöst werden müssen. Selbst im Falle eines schnellen Starts des Einheits­patentsystems nach dem bisherigen Zeitplan kämen somit zu der ohnehin bereits langen Liste notwendiger Brexit-Maßnahmen weitere komplexe Punkte hinzu. Ob die Mitglied­staaten eine solche weitere Komplikation der Brexit-Verhandlungen und den zusätzlichen Zeit- und Kosten­aufwand in Kauf nehmen werden, bleibt abzuwarten.

Sollte das EPGÜ in seiner jetzigen Form nicht unter Beteiligung des Vereinigten Königreichs in Kraft treten, wäre das Projekt aber nicht zwingend endgültig gescheitert. Die verbleibenden EU-Mitglied­staaten könnten es nach einem Brexit ohne das Vereinigte Königreich fortsetzen, wozu aber Änderungen an den bisherigen Vertrags­entwürfen notwendig wären. Dabei würde Italien an die Stelle des Vereinigten Königreichs als notwendiger Ratifikant des EPGÜ treten. Die insbesondere für Pharma­patente vorgesehene Zweigstelle der Zentralkammer des Einheitlichen Patentgerichtes in London müsste dann an einen anderen Ort verlegt werden. In Betracht kämen z.B. der Hauptsitz der Zentralkammer in Paris, deren weitere Zweigstelle in München, aber auch andere wichtige Patent­streitorte wie Mailand oder Den Haag könnten Ansprüche anmelden. Auch insoweit ist mit längeren Verhandlungen zu rechnen. Ob aller­dings an einer solchen "kleinen" Lösung ohne das Vereinigte Königreich überhaupt ein politisches und wirtschaftliches Interesse bestünde, ist zu diesem Zeitpunkt völlig offen.

Ergänzende Schutzzertifikate

Ergänzende Schutzzertifikate (SPCs) zur Verlängerung des Patentschutzes für Arznei- und Pflanzenschutz­mittel werden von den nationalen Patent­ämtern der Mitglied­staaten erteilt und sind insofern nationale Rechte. Ihre Rechts­grundlage sind jedoch zwei EU-Verordnungen (Verordnung (EG) Nr. 469/2009 für Arzneimittel bzw. Verordnung (EG) Nr. 1610/96 für Pflanzenschutz­mittel), die insbesondere die Voraussetzungen für die Erteilung, den Bestand und die grundsätzliche Wirkung von SPCs regeln und nach Art. 288 AEUV in den Mitglied­staaten der Europäischen Union unmittelbar geltendes Recht sind. Die jeweiligen nationalen Bestimmungen zu SPCs flankieren diese Bestimmungen nur, soweit dies zusätz­lich zu den Vorgaben in den Verordnungen erforderlich ist. Im Übrigen verweisen sie auf die EU-Verordnungen. Dies gilt insbesondere auch für das Vereinigte Königreich.

Bei einem Brexit würden die beiden europäischen SPC-Verordnungen im Vereinigten Königreich keine Anwendung mehr finden. Dadurch würden dort die Rechtsgrundlage für die Erteilung neuer SPCs sowie zentrale Regelungs­komplexe für bestehende SPCs entfallen. Bestehende SPCs im Vereinigten Königreich blieben aber wahrscheinlich wirksam, da sie vom UK IPO als nationale Rechte erteilt wurden. Angesichts der enormen wirtschaftlichen Bedeutung von SPCs auch für den britischen Pharma­sektor ist außerdem davon auszugehen, dass im Zuge der Austritts­verhandlungen Übergangs­regelungen für bestehende SPCs mit Wirkung für das Vereinigte Königreich getroffen und die Voraussetzungen für zukünftige SPC-Anmeldungen im Vereinigten Königreich entweder durch nationale Gesetzgebung oder Vereinbarungen mit der EU ge­schaffen werden. Sollte das Vereinigte Königreich nach seinem Ausscheiden aus der Europäischen Union dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitreten, bestünde zudem die Möglichkeit einer "Erstreckung" der beiden europäischen SPC-Verordnungen, ähnlich wie bei den EWR-Staaten Norwegen und Island. Welchen Weg das Vereinigte Königreich letztlich beschreiten wird, bleibt abzuwarten.

Know-how-Schutz

Für den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bzw. "Know-how" existieren derzeit auf europäischer Ebene keine Vorschriften, die in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung entfalten würden. Der Know-how-Schutz bestimmt sich nach den Gesetzen der einzelnen Mitgliedstaaten und unterscheidet sich zum Teil erheblich. Allerdings wird am 5. Juli 2016 die EU-Know-how Richtlinie (Richtlinie (EU) Nr. 2016/943) mit dem Ziel einer EU-weiten Harmonisierung des Know-how-Schutzes in Kraft treten. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Vorgaben der Richtlinie bis zum 9. Juni 2018 in nationales Recht umzusetzen. Ob das Vereinigte Königreich dies angesichts eines absehbaren Austritts aus der Europäischen Union tun wird, erscheint zumindest fraglich. Sollte es die Richtlinie nicht in entsprechendes nationales Recht umsetzen, wäre Know-how im Vereinigten Königreich weiter nach Maßgabe der bestehenden nationalen Gesetze geschützt. Ob sich der Schutz von Know-how im Vereinigten Königreich langfristig parallel zu den EU-Regelungen oder in eine andere Richtung entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Urheberrechte

Der Schutz von Urheberrechten ist in den Mitgliedstaaten durch nationale Gesetze geregelt. Es existiert keine Europäische Verordnung oder sonstige Gesetzgebung, die im Falle eines Brexit im Vereinigten Königreich wegfallen und eine Schutzlücke hinterlassen würde. Ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hätte daher keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Urheberrechtsschutz. Allerdings würde das Vereinigte Königreich in diesem Fall nicht mehr an einer zukünftigen unionsrechtlichen Harmonisierung des Urheberrechts teilhaben, sei es direkt durch Richtlinien oder Verordnungen oder indirekt durch Urteile des EuGH in Vorabentscheidungsverfahren. Ob sich der Schutz von Urheberrechten im Vereinigten Königreich nach einem Brexit langfristig parallel zum Urheberrechtsschutz in der Europäischen Union oder in eine andere Richtung entwickeln wird, ist derzeit völlig offen.

Weitere Auswirkungen eines Brexit für den Gewerblichen Rechtsschutz

Eine Reihe von EU-Verordnungen, die erhebliche Erleichterungen z.B. bei der Zustellung von Klagen sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in einem anderem Mitgliedstaat schaffen, würden bei einem Brexit ihre Wirkung für das Vereinigte Königreich verlieren. Das betrifft zum Beispiel die „EuGVVO“ (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012) und die "Zustellungs-VO" (Verordnung (EU) Nr. 1393/2007). Sofern im Zuge der Austrittsverhandlungen keine entsprechenden Abkommen auf bilateraler Ebene zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geschlossen werden, würde dadurch beispielsweise die Vollstreckung deutscher Marken- oder Patentverletzungsurteile gegen Beklagte mit Sitz im Vereinigten Königreich deutlich erschwert.

Der Brexit spielt auch für die (Lizenz-)Vertragsgestaltung eine erhebliche Rolle, zum Beispiel bei der Definition des Lizenzgebietes. Denn sofern bestehende Lizenzverträge von der „Europäischen Union“ sprechen, kann dies zu Problemen führen, wenn es nach einem Brexit zum Streit darüber kommt, ob auch weiterhin eine Lizenz für das Vereinigte Königreich besteht oder nicht. Auch lizenzvertragliche Bestimmungen zu Steuern, Zöllen und der Einhaltung regulatorischer Vorgaben bedürfen im Zuge eines Brexit gegebenenfalls der Überarbeitung. Schließlich sollte in Zukunft bei der Wahl des anwendbaren Rechts und des Gerichtsstandes die Möglichkeit eines zukünftigen Wegfalls prozessualer Erleichterungen bei der Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen im Verhältnis EU/Vereinigtes Königreich (s.o) berücksichtigt werden.

Nach dem Grundsatz der Erschöpfung kann ein urheberrechtlich oder durch eine Marke, ein Design (Geschmacksmuster) oder Patent geschütztes Produkt, das einmal mit Zustimmung des Rechteinhabers in der EU oder dem EWR in den Verkehr ge­bracht worden ist, in allen Mitgliedstaaten frei weitervertrieben werden. Die Verbietungsrechte des Inhabers sind mit dem erstmaligen Inverkehrbringen „erschöpft“. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur unter den EU- und EWR-Mitgliedstaaten, im Falle eines Brexit also nicht mehr für das Vereinigte Königreich, sofern es nicht im Zuge seines EU-Austritts gleichzeitig dem EWR beitritt oder Sonderbedingungen über den freien Warenverkehr mit der EU aushandelt. Das bedeutet, dass nach dem Brexit die EU-Einfuhr von Waren, die von dem oder mit Zustimmung des Schutzrechtsinhabers in dem Vereinigten Königreich auf den Markt gebracht wurden, von dem Schutzrechtsinhaber aufgrund nationaler Patente oder Marken oder einer Unionsmarke verhindert werden kann. Umgekehrt kann der Schutzrechtsinhaber aber auch die Einfuhr von Waren in das Vereinigte Königreich verhindern, selbst wenn die Waren zuvor von ihm oder mit seiner Zustimmung in der EU auf den Markt gebracht wurden.

Fazit

Ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union wird weitreichende Folgen auch auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes haben. Einzelheiten werden sich aber erst im Zuge der Austrittsverhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zeigen. Wir werden die Entwicklungen weiter verfolgen und zu gegebener Zeit über wichtige Ergebnisse und Handlungsoptionen für Schutzrechtsinhaber informieren.

 
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