Brexit und Pharma

Am 23. Juni 2016 haben die Bürger des Vereinigten Königreichs durch ihr Votum den Weg für einen Austritt aus der Europäischen Union geebnet. Mit einer Austrittserklärung des Vereinigten Königreichs gegenüber dem Europäischen Rat wird indes nur der erste Schritt auf einem langen und beschwerlichen Weg des in Art. 50 EUV vorgesehenen „negotiated exit“ getan. Im Rahmen dieser Austrittsverhandlungen wird es auch um Lösungen für ein homogenes europäisches Pharmarecht, die Zukunft der europäischen Gesundheitspolitik und den Schutz der im Vereinigten Königreich ansässigen Pharmaunternehmen und des nationalen Gesundheitswesens gehen müssen.

Arzneimittel- und Zulassungsrecht

In der Europäischen Union sind wesentliche Bereiche des Arzneimittelrechts vollharmonisiert. Insbesondere die Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel hat weitgehend einheitliche Rahmenbedingungen für die Zulassung, die Herstellung und den Vertrieb von Arzneimitteln in den EU-Mitgliedstaaten etabliert. Dazu zählt etwa das zentralisierte Zulassungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA, durch das ein pharmazeutischer Unternehmer mit nur einem Antrag eine Arzneimittelzulassung für sämtliche Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (d.h. für die EU-Mitgliedstaaten, Norwegen, Liechtenstein und Island) erhalten kann. Die regulatorischen Standards des europäischen Arzneimittelrechts sind hoch.

Ein Austritt aus der EU wirft die Frage auf, ob und inwieweit das Vereinigte Königreich diese Standards zu Gunsten eines funktionierenden nationalen Gesundheitssystems und im Interesse der Arzneimittelsicherheit aufrechterhält. Im Bereich des Zulassungsrechts dürften sowohl das Vereinigte Königreich als auch die EU ein besonderes Interesse daran haben, dass EU-weite Zulassungen ihre Gültigkeit im britischen Hoheitsgebiet behalten und UK-Zulassungen weiterhin Gegenstand eines dezentralisierten europäischen Zulassungsverfahrens (Mutual Recognition Procedure) bleiben können. Hier sind pragmatische Lösungen wünschenswert, die den freien Verkehr mit Arzneimitteln und damit eine länderübergreifende Arzneimittelversorgung in Europa sicherstellen.

Klinische Forschung und Entwicklung

Das europäische Recht der Klinischen Prüfung unterliegt derzeit einem intensiven regulatorischen Wandel und wird durch die Verordnung (EU) Nr. 536/2014 bis zum Jahr 2021 sukzessive vereinfacht und vereinheitlicht. An diesem Entwicklungsprozess wird das Vereinigte Königreich nach Wirksamwerden eines EU-Austritts (und praktisch auch schon vorher) nicht weiter beteiligt sein. Von erheblicher Bedeutung wird deshalb sein, dass das Vereinigte Königreich – sei es durch ein Abkommen mit der EU oder durch einen eigenen Rechtsrahmen – die für klinische Prüfungen in der EU geltenden rechtlichen und ethischen Standards nicht unterschreitet.

Die klinische Forschung und Entwicklung im Vereinigten Königreich wird gegenwärtig zu einem wesentlichen Teil durch die EU subventioniert und gefördert. Es ist kaum denkbar, dass das bestehende Forschungsniveau ohne diese Unterstützung aufrechterhalten werden kann. Auch wird das Vereinigte Königreich nach dem Austritt nicht mehr an grundlegenden Forschungsprogrammen der EU beteiligt sein. Das bedeutet nach der in Expertenkreisen überwiegenden Einschätzung einen herben Rückschlag für die europäischen Forschungs- und Innovationsziele, die bislang etwa im EU-Rahmenprogramm „Horizont 2020“ gemeinsam verfolgt werden. Es erscheint hier notwendig, dass sich beide Seiten in den Austrittsverhandlungen auf ein Kooperationsmodell einigen.

Standortpolitik

Die EU-Mitgliedstaaten haben 1993 einvernehmlich beschlossen, dass die durch die Verordnung (EG) Nr. 2309/93 gegründete Europäische Arzneimittel-Agentur EMA ihren Sitz in London hat. Diese Entscheidung beruhte auf dem in der Europäischen Gemeinschaft etablierten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, der die Mitgliedstaaten zu einer fairen und ausgewogenen Verteilung von Organ- und Agentursitzen innerhalb der Mitgliedstaaten verpflichtet. Es ist völkerrechtlich geboten und politisch naheliegend, bei einem Austritt des Vereinigten Königreichs eine Sitzverlegung der EMA in das Hoheitsgebiet der EU zu beschließen. Als potentieller Nachfolgestandort wird derzeit unter anderem Bonn gehandelt, wo bereits das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit seinen rd. 1.100 Mitarbeitern und der Bundesverband der Arzneimittelhersteller beheimatet sind.

Unabhängig von der Zukunft der EMA dürfte ein EU-Austritt das Vereinigte Königreich und insbesondere London als Pharmastandort schwächen. Experten rechnen auf Grund des Wegfalls von EU-Subventionen mit nachteiligen Konsequenzen für den Nationalen Gesundheitsdienst NHS, die vor allem eine Reduzierung von Arbeitsplätzen im Gesundheitssektor befürchten lassen. Auch die staatlichen Fördergelder zu Gunsten forschender medizinischer Einrichtungen werden vermutlich zurückgehen, was vielfach zu einer Abwanderung qualifizierten Personals in die EU führen dürfte. Inwieweit die drohenden Einschnitte durch eine Kooperation zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU abgewendet oder jedenfalls reduziert werden können, muss ebenfalls Gegenstand der Austrittsverhandlungen sein.

Fazit

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hat eine Vielzahl pharmarechtlicher und gesundheitspolitischer Implikationen, deren Umfang und Intensität gegenwärtig noch nicht absehbar sind. Während eine rechtliche Folgenbetrachtung im Verlauf und nach Abschluss der Austrittsverhandlungen weitgehend möglich sein wird, dürfte die wirtschaftliche Dimension des Brexit erst in einigen Jahren deutlich werden. Wir werden die weiteren Entwicklungen eng begleiten und über relevante Auswirkungen für die pharmazeutische Industrie und das Gesundheitswesen in Deutschland informieren. Susanne Koch, Deniz Tschammler und Dirk Uwer